Vom Geschichten erzählen…
Ich war zehn Jahre alt, als mich erstmals eine Geschichte gepackt und lange Jahre nicht mehr losgelassen hat. Schon damals interessierte mich die Frage, warum Menschen so oder so handeln, wie es ihnen dabei geht, was für Widersprüche sie leben und aushalten müssen. Gute Geschichten erzählen eben davon und von der Unmöglichkeit, das Leben in Regeln und Normen zu packen. Vielmehr entstehen Geschichten da, wo Menschen in Paradoxien leben und sie auflösen wollen oder Zwängen entfliehen müssen, sich eben das Leben seinen Weg bahnt durch die menschlichen und gesellschaftlichen Schutzwälle.
Für mich ist das Portrait die klassische Form der Erzählung geworden und bietet all die Möglichkeiten, die ich brauche und suche, um mich mit einer Geschichte zu verbinden, sie zu erleben und mit ihr eins zu werden. In jedem Menschen steckt ein Teil von uns, gute Geschichten machen diesen Teil sichtbar. Sie lassen uns nachspüren in uns selbst, was wir im anderen erleben und erfahren dürfen.
Das ist spannend, packend, bewegend, kann unangenehm sein und manchmal auch verstörend.
Als Dokumentarfilmerin begreife ich mich als eine Geschichtenerzählerin, die voranschreitet auf einem Weg der Begegnung mit einem fremden Menschen. Im Idealfall übersetze ich ihn in seinem Kern, ohne ihn jemals zu werten oder ein konkretes Bild von ihm zu entwerfen. Vielmehr geht es darum, den Atem, das Tempo, den Rhythmus eines Menschen in bewegte Bilder zu bringen.
Dabei ist das Geschichtenerzählen durchaus eine riskante Sache, an der wir immerzu auch scheitern können. Aber erst wenn wir bereit sind zu scheitern, sind wir überhaupt in der Lage, eine wirklich gute Geschichte zu erzählen. Und ist eine Geschichte dann mal erzählt und in der Welt, tritt die Geschichtenerzählerin völlig in den Hintergrund, und das ist gut so. Je besser eine Geschichte erzählt ist, umso unbedeutender ist es, wer sie erzählt hat.